Mittwoch, 27. Juni 2018

Begründung unserer Forderungen zum Thema Gehörlosengeld

Begründung unserer Forderung nach Erhöhung des Gehörlosengeldes

Im Folgenden möchten wir mit einigen Beispielen erläutern, mit welchen Hürden sich hörbehinderte Menschen konfrontiert sehen und weshalb diese durch den bisherigen Nachteilsausgleich nicht beseitigt werden können. Die folgenden Missstände verstärken bei den Betroffenen das Gefühl von Benachteiligung, Diskriminierung und Ungleichbehandlung und erfordern zeitnahes Handeln. Mit dem Gehörlosengeld wird ein Nachteilsausgleich für Mehrausgaben, die aufgrund von Gehörlosigkeit entstehen, gewährt. Zu dem seit 20 Jahren steigenden Mehraufwand gehören u.a. die Kosten für technische Hilfsmittel und Gebärdensprachdolmetscher/-innen (aktuell 75 Euro pro Stunde), wobei diese Kosten nur in sehr begrenztem Umfang und in wenigen bestimmten Lebensbereichen u.a. von den Krankenkassen und öffentlichen Trägern übernommen werden. In zahlreichen anderen Lebensbereichen und Alltagssituationen müssten die Kosten selbst getragen werden. Diese zusätzlichen finanziellen Belastungen beeinträchtigen die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und sollen durch das erhöhte Gehörlosengeld kompensiert werden.

Aktuelle Bedingungen des Gehörlosengeldes

Die Bestimmungen, durch die die Gewährung des Gehörlosengeldes an Hörstatus und Zeitpunkt der Ertaubung gekoppelt ist, betrachten wir als diskriminierend. So erhält ein gehörloser Mensch, der im Alter von 7 Jahren oder später ertaubte oder bei dem erst mit 7 Jahren eine Hörschädigung nachgewiesen werden konnte, keinen Nachteilsausgleich, obwohl auch trotz erfolgtem Spracherwerb die Kommunikation stark beeinträchtigt ist. Nicht selten sind hohe psychische Belastungen die Folge, die durch Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs gegebenenfalls minimiert bzw. behandelt werden können. Voraussetzung hierfür ist selbstverständlich, dass sich die Betroffenen ein entsprechendes Kommunikationssystem (Deutsche Gebärdensprache, Lautsprachbegleitende Gebärden, etc.) aneignen, bzw. einen speziell ausgebildeten Dolmetscher bestellen (Oraldolmetscher).

Finanzierung von privaten Dolmetscheinsätzen und Aufwand der Bestellung

Die Kosten für Gebärdensprachdolmetscher/-innen im privaten Bereich (z.B. Versicherungsberatungen, Volkshochschule, Haus- und Wohnungsangelegenheiten, Vorstellungsgespräche, Notar- und Anwaltstermine, Bankangelegenheiten, Autokauf, etc.), werden derzeit zum Teil privat finanziert, wobei die Selbstbestimmung und das Wunsch- und Wahlrecht von gehörlosen Menschen gewährleistet werden müssen.
Die Bestellung eines Dolmetschers oder einer Dolmetscherin zur Sicherstellung der Kommunikation ist derzeit sehr zeitintensiv und mit unverhältnismäßig viel Bürokratie verbunden, was auch psychische Belastungen verstärken kann.

Schriftliche Kommunikationshilfen

Schriftliche Korrespondenz mit Behörden und Ämtern bedarf in der Regel einer Textübersetzung bzw. -korrektur, um die Kommunikation zu sichern. Auch diese Leistung muss von hörbehinderten Menschen vergütet werden.

Erhebliche Tarifmehrkosten

Bei Nutzung eines Telefondienstes mit Gebärdensprachdolmetscher/-innen müssen Hörbehinderte zusätzlich zu den regulären Telefongebühren weitere Gebühren bezahlen, um die Kommunikation im Alltag zu ermöglichen.

Durch die Videochat-Nutzung zur Kommunikation im Alltag entstehen Hörbehinderten zusätzliche Kosten, da dadurch ein größeres Datenvolumen verbraucht wird.

Mangelnde regionale Kulturangebote

In Sachsen-Anhalt gibt es nahezu keine öffentlichen Kulturangebote (Theater, Kinos, etc.) für Hörbehinderte. Die Kulturangebote anderer Bundesländer (z.B. Berlin) sind mit erhöhten Kosten und Organisationsaufwand verbunden (Fahrtkosten, evtl. Übernachtung, etc.). 

Mehrkosten für Technik

Hörbehinderte Menschen sind nicht in der Lage, einen Defekt an Haushaltsgeräten akustisch wahrzunehmen und den Schaden schnellstmöglich zu beheben. Infolgedessen müssen technische Geräte unter Umständen vermehrt ausgetauscht werden, da der Defekt nicht frühzeitig erkannt wurde. Des Weiteren sind Hörbehinderte auf teurere barrierefreie Technik angewiesen.

In der alltäglichen Kommunikation unter Hörbehinderten sind technische Geräte wie z.B. Webcam und Mobiltelefone mit hoher Bildqualität, zur problemlosen visuellen (gebärdensprachlichen) Kommunikation unabdingbar, was wiederum mit höheren Kosten verbunden ist.

Mehraufwand für unterstützende Angebote

Für die Inanspruchnahme spezieller Angebote und Beratungen (z.B. Verbraucherzentrale, Drogenberatung, psychologische Beratungen, Telefon-Seelsorge, Frauenhaus, vorschulische Beratungen, etc.) werden Dolmetscher/-innen benötigt. Kann ein Angebot vor Ort nicht wahrgenommen werden, müssen Hörbehinderte auf Angebote in anderen Regionen zurückgreifen, was mit weiteren Kosten verbunden ist.

Vermeidung sozialer Isolation

Hörbehinderte Menschen in ländlichen Gebieten müssen ihre sozialen Kontakte zu anderen hörbehinderten Menschen (Freunde, Familienangehörige) regelmäßig pflegen und u.U. Vereine für Hörbehinderte in anderen Städten besuchen, um soziale Isolation zu vermeiden. Auch dies ist mit Mehraufwand z.B. für Fahrtkosten verbunden.

Hörbehinderte Flüchtlinge/Migranten

Hörbehinderte Flüchtlinge benötigen eine spezielle Art der Kommunikation, die derzeit finanziell nicht darstellbar und mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden ist.

Nachteilsausgleich im Arbeitsleben

Aufgrund geringerer Aufstiegsmöglichkeiten für Hörbehinderte im Arbeitsleben (u.a. durch Barrieren in der Kommunikation) bekommen sie in vielen Fällen unverändert geringe Löhne. Dieser lebenslange Nachteil im Arbeitsleben sollte ausgeglichen werden.

PDF Dokument - Begründung Gehörlosengeld